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Cash-flow oder die wundersame Vermehrung des Geldes

Stand:
„Ich brauche dringend mehr passives Einkommen“, sagte mir eine Freundin beim Frühstück. „Ich weiß aber nicht, wie das geht und würde gerne zu diesem Spiele-Event gehen. Kommst Du mit?“
Eine Hand streckt dem Betrachter aufgefächerte Geldscheine entgegen
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Von Ute, 5.3.2020

Auf Nachfrage lerne ich, dass passives Einkommen im Prinzip das Einkommen ist, für das ich nichts tun muss – Immobilienerträge zum Beispiel. „Cool!“ denke ich, „Geld auf dem Konto, ohne was dafür tun zu müssen! Warum bin ich da nicht schon früher drauf gekommen?“ „Kein Problem,“ sagt meine Freundin. „Wir können zusammen lernen, wie das geht. In Gruppen, die das ‚Cash-flow-Spiel‘ von Robert T. Kiyosaki spielen.“

Ich recherchiere und erfahre, dass es für dieses Spiel schon Clubs in ganz Deutschland gibt (mehr Infos gibt es zum Beispiel in diesem Artikel). Gespielt wird eine Art Monopoly 4.0, ein Brettspiel, bei dem es um finanzielle Entscheidungen und Investitionen geht. Während man spielt, erweitert man angeblich seinen finanziellen IQ und lernt, finanziell frei zu werden. 

Wir melden uns zum nächsten Termin an – für 10 Euro pro Person. Beim Eintreffen traue ich meinen Augen nicht: tecis Finanzdienstleistungs AG steht dezent neben der Eingangstür. Als Mitarbeiterin einer Verbraucherzentrale klingeln da meine Alarmglocken. Schließlich steht der Finanzdienstleister gemeinsam mit einigen anderen wegen fragwürdiger Methoden in der Kritik. „Aha,“ denke ich, „mal sehen, ob hier nur gespielt wird.“ Für die ersten zwei Stunden kann ich das bestätigen. Danach gibt es das Auswertungsgespräch - und schon sind wir mittendrin.

Ob ich Interesse hätte, demnächst zu einer Veranstaltung zu kommen, bei der es um Gold geht. Da gäbe es jemanden, der sucht Investoren und lagert das Gold, das er von dem Geld kauft, auch tatsächlich bei sich persönlich ein. Ich verstehe nicht, welchen Nutzen ich von einer Investition in den privaten Goldkeller einer mir unbekannten Person haben soll. 

Nachdem ich signalisiere, dass Gold für mich nicht von Interesse ist, folgt kurze Zeit später der zweite Versuch: Welches Verhältnis ich zu Bienen hätte? Und welch Freude, als ich sage, dass ich diese nützlichen Insekten mag. Das wäre total cool, denn es gäbe in der Schweiz einen Bienenzüchter, dessen Bienen krank seien. Der Bienenzüchter habe Kontakt zu einer Heilpraktikerin, die schon Hunde mit Globuli geheilt hat. Für die kranken Bienen seien deshalb schon 800 Kilo Zucker gekauft worden. Daraus sollen nun Globuli gemacht werden, und meine Investition sei gefragt. Ich kann mich nicht erinnern, ob mir schon mal ein spektakuläreres Angebot im Brustton der Überzeugung vorgetragen wurde, und lehne dankend ab. 

Im Gespräch geht es dann noch sehr altklug um die typischen Lebensrisiken: Arbeitslosigkeit oder Kinder. Beides kostet dich viel Geld. Kinder als Risiko? „Verdrehte Welt“, denke ich nur. Und dann die Erklärung, dass es viel klüger sei, sein Geld nicht in Konsumprodukte zu stecken, sondern zu investieren. Richtig. Reich(er) wird man nur durch das, was man nicht ausgibt. Das ist nicht neu. "Haben kommt von halten" und so. Einfach die Kosten runter. Aber warum es sinnvoll sein soll, mein Erspartes dann diesen Menschen zu geben oder in riskante Anlageprodukte zu stecken, wird mir im Verlauf des Nachmittags nicht klar.

Ein Hamster in einem Laufrad
Foto: elladoro/iStock

Meine Freundin und ich gehen, ohne dass wir uns wieder mit dieser Gruppe verabreden. Auf dem Rückweg erzähle ich ihr davon, was mir angetragen wurde. Sie runzelt nur die Stirn. Zweifelhaftes Gold-Invest und Globuli für Bienen?  

Und der spielerische Aspekt? An sich eine gute Idee. Was man allerdings wissen sollte: Die ganze Ausrichtung des Spiels ist eher turbo-kapitalistisch. Jeder hat ein Haus und ein Auto und zahlt dafür Kredite ab. Für den Spielverlauf ist es ungewünscht und auch ungünstig, zuerst die Kredite zurückzuzahlen, bevor man in etwas Neues investiert. 

Meinen finanziellen IQ erhöhe ich also mit folgender einfacher Formel: Aus dem Hamsterrad kommst du raus, wenn der Cash-Flow aus deinem passiven Einkommen höher ist als deine Ausgaben. So kommst du auf die Überholspur. Einmal auf der Überholspur, hantierst du mit noch größeren Summen. Du kannst aber auch alles verlieren, wie ein Spieler in der Nachbesprechung schildert. Denn um auf die Überholspur zu kommen, brauchst du vor allen Dingen eins: jede Menge geliehenes Geld. 

Im realen Leben denken die meisten von uns darüber nach, wie man die Kosten senken kann, um finanzielle Freiräume zu ermöglichen. Dazu gehört auch, teure Kredite so schnell wie möglich zu bezahlen. Im Spiel ist das keine Option. Besser ist es, du nimmst noch einen Kredit auf für eine weitere Investition.

Riskante Geldanlage mit Geliehenem? Abhängigkeit von Banken oder privaten Geldgebern? Für mich sicher kein Weg, um finanziell frei zu werden.